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Forschung

Für menschliche Aktivitäten wie Wohnen, Transport oder Bildung benötigt man eine gewisse Anzahl an Gebäuden und Fahrzeugen sowie Infrastruktur. Die Produktion dieser sogenannten Bestände benötigt große Mengen an Materialien und Energie, wie Zement, Stahl, Holz oder Strom, deren Bereitstellung wiederum zu erheblichen Klima- und Umweltauswirkungen führt. Mit unserer Forschung möchten wir zum einen herausfinden, welche Mengen an Materialien und Energie nachhaltig bereitgestellt werden können, und zum anderen, wie mit diesen Mengen möglichst viel Nutzen für die Gesellschaft entstehen kann.

Hauptwerkzeug für unsere Forschung ist die Szenariomodellierung. Dabei werden zunächst grundlegende Annahmen über die zukünftige Bevölkerungsentwicklung und die Nachfrage nach verschiedenen Aktivitäten getroffen. Dann wird mit Hilfe eines mathematischen Modells und einer genauen Beschreibung von Lebensstilen, gesetzliche Vorschriften, Preisen und Technologien ermittelt, welche Energie- und Stoffströme für die Bereitstellung der Aktivitäten erforderlich sind, welche Einsparpotentiale durch Effizienz, Recycling (Kreislaufwirtschaft) und alternative Lebensstile vorliegen und welche globalen Umweltauswirkungen daraus resultieren. Damit wird gezeigt, welche Konsummuster mit den verschiedenen Zielen für nachhaltige Entwicklung im Einklang stehen und welche nicht. Für diese Szenarioanalysen von Konsum, Produktion und Recycling auf Regionen-, Länder- und globaler Ebene tragen wir umfangreiche Daten zusammen und entwickeln die Berechnungsmethoden und –modelle weiter. Als Vorstufe der Szenarioanalyse ermitteln wir den globalen Umwelt-Fußabdruck einzelner Gebäudetypen, Fahrzeuge und Lebensstile und wollen verstehen, wie Städte ressourceneffizient gestaltet werden können. Auch dafür entwickeln wir neue Methoden und Modelle.

Die so gewonnenen Erkenntnisse geben einen detaillierten Einblick in eine nachhaltige Wirtschaft unter planetaren ökologischen Belastungsgrenzen. Unsere Modellergebnisse zeigen die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen einzelner Strategien auf und machen deutlich, dass es ein sehr breites Spektrum von gleichzeitig umgesetzten Nachhaltigkeitsstrategien geben muss, um die zentralen Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen zu erreichen. Diese systemischen Einsichten in die Nachhaltigkeitstransformation sind für Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft, für Nichtregierungsorganisationen wie Umweltverbände sowie für die allgemeine Öffentlichkeit von großer Relevanz.

 

Im Folgenden beschreiben wir unseren Forschungsansatz im Detail und gehen auf einige zentrale Ergebnisse unserer Forschung der letzten Jahre ein. Außerdem betreiben wir ein Forschungsportal mit einem Blog, einer Datenbank mit unseren Forschungsergebnissen, Information zu unseren Modellen, umfangreichem Lehrmaterial sowie interaktiven Visualisierungswerkzeugen. Die Publikationen der Mitglieder der Arbeitsgruppe Industrial Ecology Freiburg sind über die jeweiligen Links zu Google Scholar auf unserer Team-Seite abrufbar. Offene Stellen werden auf der Jobbörse der Internationalen Gesellschaft für Industrielle Ökologie veröffentlicht.

Die Energie-Dienstleistungs-Kaskade – Eine Kaskade von Möglichkeiten zur Entkopplung menschlichen Wohlbefindens von schädlichen Umweltauswirkungen: Eine nachhaltige Volkswirtschaft erfüllt die Bedürfnisse der Gesellschaft unter Einhaltung der planetaren ökologischen Belastungsgrenzen. Zwischen dem Wohlergehen der Menschen und den Umweltauswirkungen industrieller Produktion liegen mehrere Stufen (Abbildung 1). Wohlergehen wird durch Aktivitäten wie Wohnen, Transport oder Bildung befördert. Für diese Aktivitäten braucht man Bestände an Gebäuden, Fahrzeugen und Infrastruktur, die aufgebaut, gewartet und betrieben werden müssen. Für Aufbau, Wartung und Betrieb benötigt man Material- und Energieströme, deren Produktion erhebliche Klima- und Umweltauswirkungen mit sich führt. Gleichzeitig bietet das Recycling von nicht mehr benötigen Beständen die Möglichkeit, Energie und Rohmaterialien einzusparen. Zusammen formen diese Stufen die sogenannte Energie-Dienstleistungskaskade. Unterschiedlichste Strategien greifen hier ineinander – von alternativen urbanen und ländlichen Lebensstilen über langlebige und leichte Produkte hin zu erneuerbaren Energieträgern. Jede der Stufen in der Kaskade stellt eine Möglichkeit dar, menschliches Wohlbefinden von schädlichen Umweltauswirkungen zu entkoppeln, also mehr Wohlbefinden mit weniger Ressourceneinsatz zu erzielen.

Abbildung 1: Die Kaskade von Dienstleistungen/Konsum, Produktbeständen, Materialproduktion, Energieversorgung und Umweltauswirkungen. Nach Kalt et al. (2019).

 

Entwicklung von Szenarien für die Energie-Dienstleistungs-Kaskade: Unsere Szenariomodelle liefern eine konsistente und detaillierte Beschreibung der einzelnen Stufen der Energie-Dienstleistungskaskade, einschließlich verschiedener Nachfrage- und Produktionsszenarien. Zum einen wird genau modelliert, wie die Bestände (Autos, Gebäude) genutzt werden, welche Energie- und Materialströme zu deren Aufbau und Betrieb erforderlich sind, welches Recyclingpotential besteht und wie groß der resultierende soziale Nutzen und die Umweltauswirkungen sind (Abbildung 2). Hier fließen Daten und Erkenntnisse anderer Wissenschaften wie der Sozial-, Wirtschafts- und Ingenieurswissenschaften ein. Zum anderen werden verschiedene politische Instrumente, wie Steuern, Subventionen oder Vorschriften/Ordnungsrecht, auf ihre Wirksamkeit und ihr Zusammenspiel mit anderen Strategien hin untersucht. Schließlich werden Fragen der Skalierbarkeit adressiert, also wie sich einzelne Strategien auf verschiedene gesellschaftliche Schichten auswirken und welche Effekte bei einer globalen Hochskalierung zu erwarten wären.

 

Abbildung 2: Schema des Modellansatzes zur Szenarioanalyse verschiedener Konsum- und Produktionsstrategien in der Energie- und Dienstleistungskaskade.

 

Beispiele aus der Forschung:

 

Materialbedarf für ein gutes Leben

 

Menschenwürdige Lebensstandards (Decent Living Standards, DLS) beschreiben einen Schwellenwert an Dienstleistungen wie Wohnen, Ernährung oder Transport, der zur Linderung von Armut erforderlich ist. Dr. Johan Vélez quantifizierte die Menge an Materialien, die für einen DLS erforderlich sind, und kommt zu dem Ergebnis, dass ein Material-Fußabdruck von etwa 6 t/(cap*yr) und Bestände Gebäuden oder Infrastruktur von etwa 43 t/cap erforderlich sind. Ernährung (39 %) und Mobilität (26 %) tragen am meisten zum gesamten Material-Fußabdruck bei.

Lesen Sie die Veröffentlichung (Vélez und Pauliuk 2023) hier: https://doi.org/10.1021/acs.est.3c03957

 

Ressourcen- und Emissionseinsparungen durch Materialeffizienz

 

Die Materialproduktion ist für ein Viertel der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Wir präsentieren eine globale Analyse der Möglichkeiten von Materialeffizienz von Personenkraftwagen und Wohngebäuden. Wir betrachten geringere Verluste in der Verarbeitung, leichteres Design, Materialsubstitution, längere Lebensdauer und höhere Serviceeffizienz, Wiederverwendung und Recycling. Zusammen können diese Strategien die kumulativen globalen Treibhausgasemissionen bis 2050 um 20-52 Gt CO2-Äq (Wohngebäude) und 13-26 Gt CO2-Äq (Personenkraftwagen) reduzieren, je nachdem, wie schnell die technischen Potentiale einzelner Strategien genutzt werden. Neben der Energieeffizienz und der klimafreundlichen Energieversorgung ist die Materialeffizienz die dritte Säule der tiefgreifenden Dekarbonisierung der Volkswirtschaft

Lesen Sie die Veröffentlichung (Pauliuk et al. 2021) hier: https://doi.org/10.1038/s41467-021-25300-4  

Bildquelle: IRP (2020). Resource Efficiency and Climate Change: Material Efficiency Strategies for a Low-Carbon Future. Hertwich, E., Lifset, R., Pauliuk, S., Heeren, N. A report of the International Resource Panel. United Nations Environment Programme, Nairobi, Kenya. 

 

Intensive oder Extensive Forstwirtschaft?  

 

Die Forstwirtschaft spielt eine wichtige Rolle bei der Eindämmung des Klimawandels. Die Frage, wie viel Holz geerntet werden sollte, bleibt jedoch umstritten. Wir untersuchen, ob die Kohlenstoffspeicherung in Holzprodukten und die Substitution anderer emissionsintensiver Materialien wie Stahl oder Zement die durch die verstärkte Holzernte reduzierten Kohlenstoffvorräte im Wald ausgleichen können. Dazu berechnen wir den sogenannten Mindest-Verdrängungsfaktor - eine dimensionslose Größe, die den minimalen Verdrängungsfaktor (Emissionseinsparung durch Holznutzung) angibt, bei dem die intensive Forstwirtschaft der extensiven Forstwirtschaft aus Klimasicht überlegen ist. Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Extrapolation der derzeitigen Raten des Holzeinschlags einen guten Kompromiss zwischen den Kohlenstoffvorräten im Wald und der Kohlenstoff-Vermeidung durch die Holznutzung darstellt.

Lesen Sie die Veröffentlichung (Buschbeck und Pauliuk 2022) hier: https://doi.org/10.1186/s13021-022-00216-8